Zeichen...
Von Sonja Hofrichter
„Ach Bruderherz, schick mir doch ein Zeichen. Aber Du weißt schon, ich brauche was Konkretes, nichts orakelmäßiges!“
Ich stand an „meinem“ See, blickte in das kristallklare Blau und hoffte insgeheim der Seegrund würde mir eine Botschaft meines verstorbenen Bruders offenbaren. Aber außer Kieselsteinen und kleinen Muscheln war nichts zu sehen, was ich irgendwie hätte deuten können. Von konkreten Zeichen ganz abgesehen.
Morgens um 6 Uhr, noch ehe Hundegassigänger und Jogger den Uferweg als Laufstrecke nutzen, konnte ich hier mit meinem Bruder Zwiesprache halten, oder vielmehr in einen Monolog treten, denn er hüllte sich hartnäckig in Schweigen.
Wie beneidete ich die Menschen, die wirklich glauben konnten. Die irgendwie ganz sicher wussten, dass ihre lieben Verstorbenen noch um sie waren. Ich wollte dies auch, aber mein unterkühlter Verstand machte mich oder meinen Glauben immer wieder zur Schnecke.
Das musste mein Bruder doch verstehen. Er hatte doch selbst als Ingenieur nur auf seinen Verstand gesetzt. Also bitte: ich konnte weder das Gequake der Frösche, noch die Libellen, noch die Schmetterlinge als Zeichen akzeptieren. Schließlich stand ich inmitten eines Wasserschutzgebiets.
Es hatte andere Zeiten in meinem Leben gegeben. Selbstverständlich hatte ich an Höheres geglaubt mit einem unerschütterlichen Vertrauen ins Leben. Ich fühlte mich gut geführt.
Nach dem Suizid meines Bruders gab`s kein Vertrauen mehr. Welche gnadenlose Fügung hatte seinen Tod zugelassen? Warum hatte ich nichts gefühlt? Kein Schwanken unter dem Boden, kein Unwohl sein, keine (Vor-) Ahnung, nichts! Um meinem Gefühlschaos zu entkommen, stellte mein Verstand strenge Regeln auf.
Dennoch blieb ich auf der Suche nach „mehr“. Denn die Vernunft gab zwar Halt, machte mein Leben aber leer.
Wie sehr bereicherte mich dagegen dieser eine wunderbare Traum. Inhaltlich weiß ich nichts mehr, nur dass mein Bruder da war und ich mich tagelang in eine Wolke aus Zuversicht und Wärme gehüllt fühlte.
Mein Verstand tat dies als Einbildung, Hirngespinste ab. Trost für arme Seelen.
Ein andermal stand mein Bruder in einer angeleiteten Meditation hinter mir. Er legte mir die Hände auf die Schultern und sagte deutlich: „Ich bin immer noch dein großer Bruder, lass mich dir helfen“. Mein Herz schwebte in den Wolken. Für meinen Verstand war es nur eine Erinnerung die da hochkam. Gab es da nicht ein Foto? Ich hatte mich damals durch alle Fotoalben gewühlt. Ja, so ähnliche Fotos gab es, aber nie lagen seine Hände auf meinen Schultern. Auf allen Bildern hatte er die die Hände in den Hosentaschen vergraben, oder verschränkt. Konnte ich das als Botschaft von ihm akzeptieren?
Mein Verstand ist ein Zweifler. Wie das Wasser langsam aber sicher die Uferböschung unterspült, nagt er an meinen Gefühlen.
Resigniert kickte ich einen Stein ins Wasser und wandte mich ab. Es hieß zwar immer einem Ingenieur ist nichts zu „schwör“. Aber ich wüsste nicht, welches eindeutige Zeichen mein Bruder schicken könnte.
Spät abends griff ich nach meinem Handy. Meine Freundin aus dem Schwarzwald hatte mir eine Nachricht geschickt. Von ihr kam dann und wann ein link mit einer Umweltpetition oder mit Infos zu Corona. Meist kommentarlos, einfach nur weitergeleitet. Auch diesmal nur ein link ohne ein persönliches Wort. Na ja.
Ich öffnete den link: ……
Weinet nicht an meinem Grab um mich,
ich bin nicht dort, ich schlafe nicht.
Ich bin der Wind über dem See,
Kristallglitzer auf dem Winterschnee.
Ich bin am Tag das Sonnengold,
Ich bin der Regen herbstlich hold
Ich bin das tiefe Himmelsblau,
der schöne frische Morgentau
Sucht mich und blickt im Dunkeln in die Ferne –
Bei Nacht bin ich das Funkeln der Sterne.
Zündet für mich eintausend Kerzen an,
und vergeßt mich nie – keine Sekunde lang.
Steht nicht am Grab, die Augen rot.
Ich bin nicht dort, ich bin nicht tot.
-aus dem Englischen-
Verstand und Herz setzten aus. Stille betäubte meine Ohren. Die Zweifel lösten sich in diesen Worten auf, wie Eis in der Sonne. Tiefer Friede hüllte mich ein.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit war ich in der Lage nachzusehen wann sie diesen link geschickt hatte. Heute Morgen, 6:10 Uhr!
„Seit wann kennt Dein Bruder Deine Freundin?“ – da war er wieder mein Verstand.
„DANKE Bruderherz“ jubilierte mein Herz.
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