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"Wohin an Weihnachten mit mir und meinen Gefühlen?" - eine etwas andere Weihnachtsgeschichte -




Text von Sonja


All das klingling, die happy Familien, die so theatralisch an Weihnachten auf Geborgenheit machen (zumindest in der Werbung). Die Kollegen, die einem auf die Nerven gehen mit ihrem beinahe fiebrigen Weihnachtsfimmel.  Die Nachbarn, die die Beleuchtung hochfahren: Ich kann damit nichts mehr damit anfangen. Es jagt mir, im Gegenteil, einen Schrecken ein.  Ist mir zu laut, zu aufgesetzt, zu hektisch.

Seit dem Suizid meines Bruders gestalte ich Weihnachten - irgendwie. Wer will noch mittun nach einem derartigen Verlust? Meine Eltern versuchen Weihnachten zu ignorieren. Auch das kostet Kraft. Meine Schwägerin rettet sich in den Schoß ihrer Restfamilie.   

Die einen verbringen Weihnachten im Ausland. Andere versuchen es mit Grillen oder Spiele Abende mit Freunden. Egal was wir unternehmen oder wie sehr wir uns um Normalität bemühen, wir sind doch irgendwie auf der Flucht. Wir fliehen vor dem Moment wo wir innerlich, vielleicht auch äußerlich zusammenbrechen.  

Genug geflüchtet! Mehr als vier lange Jahre! Ich will mich stellen. Ich will mich all den Gefühlen stellen, denn sie holen mich ohnehin ein, egal wo und wie ich auch Weihnachten verbringen werde.

Ich erinnere mich, früher war es Sitte im Dorf, dass man sich samstags auf unerwarteten Besuch vorbereitete. Die Nachbarin, die auf einen Plausch reinschneite, die Verwandten die zufällig entlangkamen, die gute Freundin, die mit ihrem Neugeborgen vorbeispazierte. Für jeden stand die Haustür offen. Jeder wurde mit Kaffee und Kuchen bewirtet.   

In diesen Tagen, ich spüre es, sind andere (ungebetene) Gäste im Anmarsch. Es sind Gefühle wie Trauer, Schmerz, Verzweiflung.

Kann ich mich nicht auch vorsorglich rüsten, mich darauf einstellen, dass sie kommen werden? Ihnen die Tür öffnen, statt meine inneren Mauern höher und höher zu ziehen?

Ich zünde mir im Wohnzimmer eine Kerze an und sorge dafür, dass ich nicht gestört werde. Baue mir meinen inneren Schutzraum auf.  Für mich ist es eine einsame Almhütte. Tief verschneit erscheint sie vor meinem geistigen Auge.  

Ich decke den inneren Tisch und schaue wer sich zeigen will. Noch ein tiefer Atemzug, ehe ich die Augen schließe.

Oh ja, da ist sie schon! Hat schon auf die Einladung gewartet. Eine verhärmte Frau in schwarz. Die Trauer steht in der imaginären Tür. Hinter ihr noch ein weiterer Gast. Er scheint gar nicht durch den Türstock zu passen. Sieht aus, wie ein riesiger grauer Schatten.

„Uff, der Schmerz!“ Will ich ihn wirklich reinbitten? Will ich mir dies alles anschauen? Sollte ich nicht besser die Tür wieder zuknallen und fest verriegeln?

„Gehört dazu,“ murmelt die Trauer und schon sitzen die ersten Gäste am Tisch.

Wie „Miss Sophie“ aus „Dinner for one“ sitze ich am Tischende und beobachte. Betrachte meine alten Bekannten. Ja sie sind mir sehr vertraut geworden in den letzten Jahren, aber Freunde sind wir nicht geworden. Obwohl mir die schwarze Gestalt schon irgendwie leidtut, wie ich ihr so ins verhärmte Gesicht blicke.  Die Trauer greift in die Taschen ihres weiten Kleides und stellt eine kleine Schale auf den Tisch.  Es funkelt und glitzert, als lägen Diamanten drin. Aber es ist eine Flüssigkeit und das Gefäß viel zu klein. Es tropft aus der Schale auf den Tisch und auf den Boden. Der bisher finstere Raum beginnt zu leuchten. 

„Er hat jede einzelne aufgesammelt, “ dabei deutet sie liebevoll auf den Schmerz, „deine Tränen“.

„Oh“, mehr kommt nicht über meine Lippen. Ja die Tränen sind mir kostbar geworden. Manchmal sind sie wie eine kühlende Hand auf der glühenden Stirn. Immer lindern sie den Schmerz. Das scheint auch der Schmerz zu fühlen, denn der düstere Schatten wird kleiner und ein wenig heller.  

„Hm, so kann ich die Gefühle aushalten. Vielleicht wird es nicht so schlimm.“ Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht. Da poltert es laut an der Tür.

„Kannst mich ruhig auch reinlassen.“ Der neue Gast wartet nicht erst, bis ich öffne. Er tritt die Tür mit den Füßen ein.

„Auch wenn du mich noch so sehr verdammst oder ignorieren willst, ganz los wirst du mich nie.“ Triumphiert ein zorniges, lautes Wesen. Stampft mit festen Schritten in den Raum, klein, kompakt und sehr verbeult. Sieht aus, wie ein Auto nach dem Kontakt mit der Schrottpresse. Mit lautem Getöse nimmt sie Platz, die Schuld.

Mir stockt der Atem. Ich hatte gedacht, ich wäre sie längst losgeworden. Ich bin so schockiert, dass ich den weiteren Gast erst bemerke, als ein impertinenter Geruch nach faulen Eiern den Raum durchdringt. Die Scham schlägt mir ins Gesicht, und nimmt frech Platz:

„Du willst ein Fest haben? Hast es gar nicht verdient.“ Und breitet sich mit ihrer dunklen, stinkigen Energie aus. Selbst die Tränen leuchten nicht mehr. Sie scheinen sich in den Schatten des Schmerzes zurückzuziehen.   

Innerlich habe ich das Bedürfnis dieses ganze Experiment abzubrechen. Wohin mit all diesen Gefühlen? Es fällt mir zunehmend schwerer in der Beobachterrolle zu bleiben

„Ich fürchte mich,“ piepst ein Stimmchen. Woher kommt das jetzt? Ich blicke nach unten. Unterm Tisch sitzt ein zerlumptes, zittriges Etwas. Eine Katze oder ein Hase vielleicht?

   

„Ich bin die Angst. Und versteck mich, weil ich Angst habe.“ 

Am liebsten würde ich zu der Angst unter den Tisch krabbeln und dortbleiben bis der Spuk vorüber ist.

Mir ist klar, ich sollte der Scham und der Schuld Einhalt gebieten, aber ich bin wie gelähmt. Sie haben mich fest im Griff, als wäre ich ihre Geisel.

Da fliegt die Tür auf: „Was ist denn das für ein trauriger Haufen hier?“

Licht strömt rein und ein frischer Maiglöckchenduft vertreibt den muffigen Gestank.  

„Du bist…?“ frage ich die frische Brise.

„Der Lichtblick. So ganz allein wirst du mit denen nicht fertig. Ich habe noch Freunde mitgebracht!“ Schon hüpfen sie rein: Die Freude, die Zuversicht, der Humor.  Der zwinkert mir zu:

„Musst dich nicht fürchten. Sind auch nur Menschen.“ und will sich ausschütten vor Lachen.

Hell wird es im Raum. Die anderen Gäste scheinen sich ein wenig unbehaglich zu fühlen. Atmen jedoch wie ich auf. Haben sie alle auf diese frischen Geister gewartet? Es scheint, meine Gäste führen sorglose Gespräche miteinander.  Die Trauer wendet sich der Zuversicht zu, der Schmerz dem Humor. Der Lichtblick rümpft die Nase über den Gestank der Scham. Die scheint sich zu schämen.

Völlig verblüfft betrachte ich das Treiben. Nahezu unbemerkt schwebt ein durchscheinendes hellgelbes Band durch den Raum. Es schmiegt sich an meine Schulter, leichter als eine Feder, zarter als ein Wattebausch.  

„Wer bist denn du?“

Selbst in meiner Trance spüre ich, dass meine Stimme nur noch ein Wispern ist. Zu zart scheint dieses Gebilde. Ich darfs nicht erschrecken und nicht vertreiben.

„Weißt du es denn nicht? Du siehst mich doch in jedem Regenbogen, in jeder Wolke. Du fühlst mich bei jedem Lächeln, bei jedem gutem Wort. Mal bin ich ein Schmetterling auf deinem Handrücken. Mal das Gezwitscher eines Vogels. Ich bin der Trost.“

Ich bedanke mich stumm. Viele wunderbare Bilder ziehen auf. Der unglaubliche Sonnenuntergang, die letzte Umarmung meines Bruders, unsere gemeinsame Freude, wenn „unser“ Fußballclub gewonnen hatte. Bilder über Bilder kommen und gehen. Wie unbeschwert wir gewesen waren.

„Lass dir nicht alles wegnehmen von -“ der Trost schwebt zu den dunklen Geistern. „Gib ihnen nicht zu viel Macht. Sonst werden sie übermütig.“ „und stinken,“ witzelt der Humor.    

„Wie mache ich das?“ ich fühle mich ziemlich überfordert.  

„Wie wäre es, wenn du deine Gäste mal fragen würdest, wie sie von dir behandelt werden wollen?“ die Zuversicht schaltet sich ein.

Ich blicke der verhärmten schwarzen Gestalt ins Gesicht und weiß sofort: sie will nicht abgewiesen werden. Sie kommt nicht mehr so oft, aber wenn sie auftaucht, dann will sie ihren Raum einnehmen dürfen, sonst wird sie noch trauriger. Ich verspreche es der Trauer.

„Wenn du nicht so auf mich eindreschen würdest, wäre ich vielleicht schon von selbst gegangen.“ Die Schuld gibt mir gleich wieder die Schuld. Aber sie hat recht. Wie hab ich sie bekämpft. Vielleicht können wir endlich Frieden schließen.  

„Schau dir mal die Angst an.“ Der Trost flattert unter den Tisch.                               

 „Die musst du ernst nehmen, sonst spielt sie dir einen Schabernack nach dem andern. Sie kann dir zum Beispiel den Boden unter den Füßen wegziehen oder dir an die Gurgel springen und dir die Luft abdrücken.“ Ja, das kommt mir sehr bekannt vor.

Ich betrachte einen Gast nach dem anderen. Der Lichtblick will nicht eingemauert werden, die Freude nicht ausgeschlossen. Jedes einzelne Gefühl will im Grunde nur gesehen werden. Sie wollen verstanden werden. Sie alle warten auf ein Danke für ihre Begleitung.

Hm, es scheint mir seltsam mich bei dem Schmerz zu bedanken. Wofür?

„Ich hätte dich auch erschlagen können,“ antwortet er auf meine stumme Frage.  „stattdessen habe ich versucht mich zurückzunehmen.“

„Und du Scham, wofür soll ich dir danken?“

„Nun, habe ich dich nicht dazu gebracht, dass du dir eine neue sinnvolle Aufgabe gesucht hast?“ Mein schamhaftes Winden nützt nichts. Sie hat recht. Sie hat mir ordentlich Feuer gemacht und so dafür gesorgt, dass ich aus meinem inneren Schneckenhaus herauskam.    

Oh, oh. Allmählich verstehe ich. Sie alle hatten und haben ihren Sinn. Sie alle wollen mich nur begleiten. Fast will ich wieder in Scham versinken.

„Siehst du, wie sehr du mich brauchst?“ die Scham kann es nicht lassen.

„Wunderbar“ jubiliert die Zuversicht. „Jetzt dürfen alle ein wenig heilen.“

Ein großer Seufzer geht durch den Raum. Dann ein Raunen, es wird gleißend hell. 

„Was wärt ihr alle ohne mich?“ die voluminöse Stimme zieht alle in den Bann. Augen beginnen zu leuchten, die Herzen hüpfen. Die Liebe zieht ein. Frieden breitet sich aus.

So, genau so muss sich Weihnachten anfühlen. Halleluja!


Die Kerze ist fast abgebrannt. Ich öffne meine Augen. Wie schön war diese Begegnung. Dieses Erlebnis will ich für euch aufschreiben. Eine Geschichte, ein Traum, ein Weihnachtswunder?  

Vielleicht geschieht auch euch ein Weihnachtswunder. Ich wünsche es Euch allen von ganzem Herzen. Seid wachsam und bleibt zuversichtlich für und mit dem der fehlt.



 

   

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