WENN VERGESSENES SICH IN ERINNERUNG RUFT – ODER DIE KLEINEN DINGE, DIE EINE GROSSE WIRKUNG HABEN
Manchmal macht mein Kopf einfach was er will. Er beginnt zu grübeln, ohne dass ich darauf vorbereitet bin. Und manchmal passiert das auch bewusst. So wie in den letzten Tagen. Weil schon wieder Vorhaben ausgebremst werden, zeitlich verschoben werden müssen, es nicht in unserer Hand liegt. Ja, da komme ich ins Grübeln. Bewusst. Was ist nun zu tun, da ein Termin, schon wieder, von Ende März auf Anfang Oktober verschoben wurde? Können wir das da dann überhaupt zeitlich stemmen? Ist es dann überhaupt machbar? Ich denke, es geht vielen von Euch ähnlich. Seit einem Jahr plant man, verschiebt man, ist sich dennoch nicht gewiss, ob der dann schon zweite oder dritte Ausweichtermin dann auch Bestand haben wird. Das macht ja schon was mit einem. Zumindest mit mir. Es drückt mich runter. Es lähmt mich, macht mich müde. Und irgendwie empfinde ich das bei ganz vielen Menschen so. Sie strahlen eine Müdigkeit aus, weil die Pandemie uns noch immer so fest im Griff hat. Man zum Warten verdammt ist, manch einer auch bangt um die Arbeitsstelle oder den eigenen Betrieb. Das fällt es irgendwann schwer sich zu motivieren, positiv denkend zu bleiben und nach vorne zu schauen. Ich ertappe mich selbst dabei. Alles scheint anstrengender zu sein, es benötigt noch mehr Überwindungskraft als sonst, um ungeliebte Dinge zu erledigen. Da hat ja jeder so seine eigenen Prioritäten, was einem leicht von der Hand geht und wozu man sich grundsätzlich aufraffen muss. Für mich persönlich bedeutet das nun, dass ich ganz genau hinschauen muss. Ist es noch der bei mir normale „Winter-Blues“? Vielleicht verstärkt durch die Situation, die überall herrscht? Oder rutscht das ganze schon in Richtung leichter Depression? Ich glaube, es ist wichtig sich selbst im Auge zu behalten. Um rechtzeitig reagieren zu können, eingreifen zu können. Noch klappt es, mich dann doch irgendwie zu motivieren, zumindest zum Großteil, zeitverzögert. Eben weil ja auch nichts davonläuft. Und die eigenen und nötigen Pausen ausgedehnter sein müssen. Dann gönne ich sie mir auch, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Das Energietanken braucht momentan mehr Zeit.
Manchmal kommt dann unverhofft etwas, was mir guttut. Auch das versuche ich gerade jetzt ganz bewusst wahrzunehmen. Begegnungen, auch wenn sie nur über WhatsApp oder telefonisch stattfinden. Dadurch auch noch mehr von der Außenwelt wahrnehmen als das, was die täglichen Nachrichten an Neuigkeiten verheißen. Mich an Kleinigkeiten erfreuen, wenn ich mein Gegenüber lächeln sehe zum Beispiel. Alles ist reduzierter in der jetzigen Zeit. Aber manches eben auch noch da. Ich versuche darauf zurückzugreifen. Hilft es mir, wenn ich mir die Fotos aus den vergangenen Urlauben anschaue, beruhigt es meine Seele, oder breitet sich dann eher eine Schwere in mir aus, weil die fernen Orte momentan gar nicht erreichbar sind? Ich weiß es erst, wenn ich die Fotos anschaue. Dann kann ich immer noch entscheiden. Mich entweder darin zu verlieren und in Erinnerungen schwelgen oder, weil die Sehnsucht so groß ist, aufzuhören sie anzuschauen und mich auf etwas ganz anderes zu fokussieren. Oder wenn ich merke, dass ich wieder voller nicht geweinter Tränen bin, wo ist das Ventil, die Schleuße, so dass sie geweint werden können? Auch sie brauchen ihren Raum, ihren Platz. Denn ansonsten reagiert mein Körper. Mit nächtlichem Zähneknirschen, Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Gereiztheit. Alles hat seine Zeit oder sollte es haben. Raum dafür schaffen, egal was da ist. So saß ich vorgestern zum Beispiel da und habe das Wäschebügeln unterbrochen. Weil ich merkte, dass da furchtbar viel in mir arbeitete. Ich in Gedanken woanders war. Ich hatte den Drang mir die Kondolenzbüchlein anzusehen, die die Kollegen meines Sohnes damals mit Texten wirklich auch liebevoll füllten. Musste mir noch einmal durchlesen, wie sie ihn in Erinnerung hatten, es vielleicht noch immer tun. Wie sie ihn wahrnahmen. Und durfte meinen Tränen zugestehen zu fließen. Erst danach konnte ich das Bügeln wieder aufnehmen, der Druck in mir war weniger geworden.
Heute hatte ich ein ganz tolles Telefongespräch. Irgendwie kamen wir dann auch darauf, was einem helfen kann oder geholfen hat. Ich berichtete also von meinem Stein, den ich mit vielen anderen Steinen vor einigen Jahren am australischen Strand sammelte und dann lange Zeit als „Helfer“ in meiner Tasche trug. Ihn immer, wenn ich unter Stress stand oder das Gefühl hatte den Boden unter den Füßen zu verlieren, in die Hand nahm. Und wieder ruhiger werden konnte, geerdeter. Es ist schon eine Weile her, als ich ihn das letzte Mal in der Hand hielt. Gut, dass wir in dem Gespräch darauf gekommen sind. Denn ich glaube, es ist wieder an die Zeit, ihn in meine Tasche zu stecken. Ihn griffbereit zu haben. Er hat mir lange Zeit geholfen, also wird er es sicherlich jetzt wieder tun. Wir alle haben das Wissen, was wir brauchen, in uns. Nur sehen wir es manchmal nicht mehr. Das heutige Telefonat hat es mir wieder in Erinnerung gerufen und dafür bin ich dankbar. Ich wünsche Euch von Herzen, dass es Euch ebenso gelingt, das wieder hervorzuholen, was im Verborgenen in Euch schlummert und Euch guttun kann.
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