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Mein Leben mit dem Trotzdem

Auch unsere Sonja hat wieder einen Text verfasst. Manchmal, gerade wenn wir intensiv austauschen über Dinge und Situationen in denen wir jeweils stecken, löst das etwas in uns. So geht es auch Sonja und mir. Und danach lässt es sich nochmals viel besser in Worte verfassen, es sich klarer benennen.. und dabei kommen dann immer wieder unsere Beiträge heraus, die aus dem persönlichen Befinden entstehen und wir unser Innerstes offenbaren, um es mit Euch zu teilen.

Danke, Sonja, für Deine wunderbare Beschreibung Deines "Trotzdem-Sofas" ... und Euch viel Spaß beim Lesen.





Trotzdem, trotzdem, trotzdem – kennt ihr es auch? Dieses große Trotzdem?

Entstanden ist es wohl mit deinem Suizid, mein Bruder. Die Sonne schien, die Welt tat geschäftig als wäre nichts geschehen; während ich mehr und mehr im Dunkel versank. Den Wunsch mich wie ein waidwundes Tier zurückzuziehen ignorierte ich, denn das große Trotzdem zwang mich schnell dazu, wieder so zu tun, als wäre noch ein kleines Stückchen heil geblieben. Herzrasen, Panikattacken? Weg atmen und weglaufen, laufen, laufen! Vor innerem Schmerz schreien wollen, stattdessen „danke, geht schon“ gelächelt. Das Trotzdem trieb mich unbarmherzig wieder zurück ins Leben.   

War das Trotzdem anfangs Überlebens notwendig, hat es sich längst eingenistet. In den Urlaub fahren – trotzdem. Kino, Theater, Essen gehen, trotzdem.  Es ist als wäre mein Leben zum Hindernislauf aus lauter Trotzdem geworden.

Die Diamantene Hochzeit meiner Eltern ohne dich als Erstgeborenen; Feiern oder nicht?  Wir feierten und es wurde auch ein wunderbarer Tag - trotzdem. Der 60. Geburtstag meiner Schwägerin – wie gerne hätte ich mich vor diesem Tag gedrückt. Aber ich wusste, an diesem Tag gehörte ich an ihre Seite. Diese Hürde zu nehmen glich dem großen Wassergraben beim Springreiten. Deine ehemaligen Kumpels der freiwilligen Feuerwehr ließen sich nicht lumpen und ratterten mit dem alten Spritzenwagen an. Wir durften eine Runde mitfahren, was für eine Gaudi! Trotzdem; gleich hinter dem Lachen saßen die Tränen.    

Jetzt also mitjubeln beim Fußball? Oder gar mal wieder einen Grillabend organisieren?  Solange du da warst hätte sich die Frage nicht gestellt. Mit Dir Fußballfan und Dauerkartenbesitzer vom FCA hätten wir höchstens überlegt, wer was zum Essen und Trinken besorgt. Jetzt stellt sich mir erneut die Frage, feiern oder nicht?    

Kann ich beim Fußballgucken ein Stückchen Normalität finden oder wird es mich runterziehen? Lenkt es mich ab oder lässt es mich meinen Verlust noch mehr erfahren? Trägt die Gemeinschaft oder zeigt sie mir umso deutlicher wie einsam es in mir ist? Ich entscheide mich zum Mitfeiern. Vielleicht nicht so laut, aber eben trotzdem. 

Ach dieses Trotzdem, wie müde es mich macht! Steckt doch auch eine permanente Angst dahinter ob mir die Entspannung gelingen wird. Die Sorge ob ich wirklich in die normale Gesellschaft passe, oder ob ich vielleicht den anderen den Spaß verderbe.     

Selbst im vertrauten Gespräch mit der Freundin, während wir genüsslich unseren Aperol in der Sonne schlürften, begleitete mich das Trotzdem.  Meine Freundin gab eine Anekdote vom Pilze sammeln mit ihrem Bruder zum Besten – und in mein Glas fällt wie ein Schatten die Erinnerung an einen Waldausflug mit der ganzen Familie. Ich schwenkte heftig die Eiswürfel, stieß mit ihr an „auf das Leben,“ und lachte trotzdem mit.

Dieses Trotzdem steht mir im Weg wie mein kleines Sofa. Alt, unbequem und hässliche verschandelt es mein Wohnzimmer so wie mein Trotzdem mein Leben beherrscht. Ich hätte es schon längst ins Auto wuchten und auf den Sperrmüll bringen sollen.   

Oder sollte ich das Sofa ein wenig aufhübschen? Mit einem neuen Stoff überziehen? Bunte Streifen oder ein kitschiges Blumendekor aussuchen, dazu ein bisschen aufpolstern und das alte Möbelstück ganz dekorativ mitten ins Wohnzimmer stellen? Ein leuchtendes Trotzdem Sofa? Als Dank an das, was wir, mein Trotzdem und ich, schon alles gemeistert haben?

Dann könnte ich mich auf meinem neuen, alten, bequemen Sofa zurückziehen und könnte überlegen, ob ich die laute Welt ausschließe, um mich ein wenig auszuruhen. Ich könnte mich auch fragen, ob ich wirklich all die „Trotzdems“ brauche. 

Nach einer kleinen Pause könnte ich wieder aufspringen, die Natur, das Leben, die Gemeinsamkeit mit anderen genießen in dem beruhigenden Wissen, mein Trotzdem-Sofa wartet zu Hause auf mich. Ja, wir können es uns ein wenig bequemer machen – mein Trotzdem und ich. Denn ich habe gelernt: das Leben ist schön, einmalig, ein Geschenk. Trotz alledem

Genießen wir den Sommer, die EM, die eigene Lebendigkeit für und mit dem der fehlt.  




 

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