google-site-verification=-UgRHQ8wj0fm7xzZB-RVR0oR456EBS1jG8-927xuFjk LÄNGER WERDENDE TAGE - ODER WENN SICH LEBENDIG FÜHLEN DEN WEG BAHNT
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LÄNGER WERDENDE TAGE - ODER WENN SICH LEBENDIG FÜHLEN DEN WEG BAHNT

Text von Iris




Auch diesen Winter ging es mir wieder so: die Energie hat am Tag oftmals länger auf sich warten lassen, Müdigkeit rief vermehrtes Schlafbedürfnis hervor, die frühe Dunkelheit hat mir gelegentlich zu schaffen gemacht. Ich bin da wohl anfällig für. Und doch war es in den letzten Monaten etwas anders. Ich habe es angenommen, wie es ist. Wusste, dass viel der Müdigkeit eben auch durch sehr viel Arbeit in meiner Arbeitsstätte hervorgerufen wurde. Nahm mir das Recht zum Ausruhen, wenn ich dann nach Hause kam, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Ich versuchte zu entschleunigen, wo es für mich machbar war. Die von mir nun häufig doch ungeliebte Adventszeit, weil das Funkeln der Lichter in den Fenstern und Straßen so viel von heiler Welt ausstrahlen, es machte mir dieses Jahr doch wieder mehr aus. Machte mir dieses Mal wieder intensiver bewusst, dass meine Welt nicht mehr komplett ist, dass da jemand ganz Wichtiges fehlt darin. Mein Junge einfach fehlt. Und nun im letzten Jahr eben zusätzlich durch das Ehe-Aus auch noch die Familie an sich weiter auseinandergebrochen ist. So hielt ich es mir länger offen, ob ich zur Gruppenstunde von AGUS und dem anschließenden gemütlichen Beisammensein zum Advent gehen würde. Sonjas Text, mit ihren Gedanken "Wohin an Weihnachten mit mir und meinen Gefühlen?“, den wir auch hier veröffentlichten, half mir bei meinem Entschluss. Ich stellte mich meinen Gefühlen und fasste den Mut hinzugehen. Im Nachhinein ich bin froh darum. Die Angst vor den Weihnachtsfeiertagen und dem Jahreswechsel; klar, auch die war wieder da. Auch diese Tage habe ich wieder überstanden. Wieder etwas anders als die Jahre zuvor, aber doch lebbarer als zuvor. Und ich bin dankbar dafür.

Nun hat ein neues Jahr begonnen, die Tage werden (zwar noch nicht sonderlich merklich, aber immerhin) wieder länger. Die Arbeit ist nicht weniger geworden, sondern eher mehr. Als mein Körper mir dann plötzlich signalisierte, dass er am Limit läuft und ich mir eine ziemlich schmerzhafte Entzündung einfing, gelang es mir, ohne schlechtes Gewissen den Arzt aufzusuchen und die Krankmeldung entgegenzunehmen. Kein „ich kämpfe mich jetzt erst noch weiter durch bis zum Umfallen“, wie ich es viele Jahre gelebt hatte. Ich merke, dass mein Umdenken immer mehr Formen annimmt und mir in verschiedenen Bereichen so nach und nach gelingt. Ich versuche achtsamer mit mir zu sein. Nehme mich selbst und meine eigenen Bedürfnisse besser wahr als früher.

Was mich manchmal noch etwas ins Straucheln bringt, sind die Kurven zwischen den Ups and Downs. Viele Jahre war meine Kurve sanfter. Die Höhen mit Zufriedenheitsgefühl oder sich glücklich fühlen nicht mehr furchtbar hoch. So empfand ich den Fall in die Tiefe, wenn mich plötzlich die Trauer überschwemmte, nicht so wuchtig. Nun, da ich doch immer wieder sehr gute Momente erlebe, auch das Gefühl, mich tatsächlich zwischendurch als glücklich wahrzunehmen da ist, kommt eine „aus dem Nichts“ kommende Trauerwelle umso intensiver erlebt daher. Dabei ist sie nicht anders als vorher… nur der Fall von oben erscheint nun tiefer. Das hatte mich zuerst ziemlich erschreckt. Ich musste erst lernen, auch damit umgehen zu können. Klar, der Gedanke war da, sich vielleicht doch lieber wieder auf das alte Level zurückzubegeben, sich wieder mehr ins Schneckenhaus zurückzuziehen, dem Leben da draußen stattdessen weiter mit Abstand zu begegnen und lieber doch nicht zu versuchen es mit offenen Armen zu empfangen, mich auf Neues einzulassen. Vieles fühlte sich inzwischen einfach fremd an. Aber auch da zeigte ich mich mutig. Ich hatte begonnen, mich auf den Weg zu machen. Auf den Weg zu mir selbst, auch wenn ich dabei immer wieder meinen eigenen Dämonen begegne. Und wollte nun nicht mehr umkehren. Es erschreckte mich zu sehen, wie sicher ich mich fühle, wenn ich die Arbeit für unseren Verein durchführe und Vorträge, Seminare oder Workshops vor fremden Menschen zum Thema „Mentale Gesundheit“ oder „Psychische Erkrankungen und Suizidalität“ halte. Und wie unsicher und ängstlich ich im Laufe der Jahre geworden bin, mich selbst, so wie ich bin, mit Ecken, Macken und Kanten, meiner Trauer im Leben, anderen zuzumuten und auch wieder auf Menschen zuzugehen, die mir doch eigentlich nicht fremd sind. Ich wage nun immer wieder diese Begegnungen, die ich mir so lange Zeit nicht mehr zutraute. Nach überwundener Angst funktioniert das auch immer besser. Aber halt auch noch nicht immer.

So versuche ich weiterhin im privaten mir selbst immer wieder Gutes zu tun. Habe mir unter anderem fürs Erste schon ein paar Konzerttickets geordert. Konzerte, die ich zum Teil mit ganz lieben Menschen gemeinsam besuche, zum Teil auch ganz allein nur für mich. Nun am Wochenende steht die Einlösung meines Weihnachtsgeschenkes von meiner Tochter an. Ein Stadionbesuch beim Fußballspiel meines Lieblingsvereins. Und ich freue mich so sehr darauf! Mutter-Tochter-Zeit, die wir nicht nur an diesem Nachmittag des Spiels erleben werden, sondern das komplette Wochenende. Wieder in einer meiner Lieblingsstädten zu sein, meiner Tochter ein paar der schönen Fleckchen dort zu zeigen. Was ich feststelle, ist dass ich mich inzwischen auf solche Momente wieder viel intensiver freuen kann, sie viel intensiver auskosten kann. Ich mein Lachen wiedergefunden habe, welches viele Jahre verhaltener und seltener da war. Nein, meine dunklen Phasen sind nicht ganz weg. Und auch nicht meine Trauer. Ich weiß, sie bleibt, ist Teil von mir. Ich kann inzwischen aber immer mehr in die Akzeptanz gehen. Von dem, was ist, von dem, was ich nicht ändern kann. Und versuche mich auf das zu konzentrieren, woran ich arbeiten kann. Ich versuche Frieden mit mir zu schließen. Nein, ich kann auch meine Verlustängste nicht ganz ausblenden. Sie sind nun mal da. Inzwischen ist mir bewusst, dass sie ihren Ursprung weit zurückliegend in meiner Kindheit haben und der Tod meines Kindes sie dann um ein Vielfaches verstärkt haben. Aber ich bin dabei zu lernen. Den Umgang mit ihnen. Versuche bei jedem Auftreten die Situation genauer zu reflektieren. Hinzuschauen, was mir im schlimmsten Fall passieren könnte, und wie realistisch das Geschehen tatsächlich ist, wieviel Berechtigung diese Ängste eigentlich wirklich haben. Und versuche ihnen dadurch den Schrecken zu nehmen. Manchmal braucht es dafür tatsächlich einige Tage, da das Gedankenkarussell sein Eigenleben beginnt und ich automatisch beginne, alles schwarz zu malen und kaputtzudenken was ist. Es gelingt mir jedoch von mal zu mal besser, aus dieser Spirale herauszufinden. Wieder meinen Mut, mein Selbstvertrauen zu finden, was in dieser Spirale so schnell verloren geht. Ich bin auf dem Weg… nach fast neun Jahren im Leben ohne meinen Sohn… weiterhin Schritt für Schritt zurück ins Leben. Denn ich weiß, ich lerne nie aus, auch wenn wir Trauernden ein anderes Tempo haben als manch andere. Ich bin dankbar für all die Wegbegleiter, die mir zur Seite stehen, mir immer wieder Mut machen, die sich mit mir freuen, wenn ich die „little steps“ wage und die zuhören und mittragen, wenn es „nur“ das offene Ohr und Verständnis bedarf, weil gelegentlich zu viel Chaos in mir herrscht. Diese Menschen haben mich durchgetragen in den letzten Monaten, ihnen durfte ich mich ungefragt „zumuten“. Und dafür ein dickes DANKE <3

Fast neun Jahre ohne meinen Sohn… unfassbar lange, und doch fühlt es sich manchmal an, als ob es erst gestern geschehen wäre. Fast neun Jahre… und doch bin ich noch da. Verändert, anders, aber da. In den ersten Jahren hätte ich tatsächlich nicht gedacht, dass ich es schaffe, dass ich es aushalten kann. Daher galt sehr lange „einen Moment auf den anderen“ zu überstehen. Inzwischen vertraue ich meinen kleinen Schritten, selbst im Stillstand. Ich bin noch da… und dafür bin ich dankbar. Ich bin inzwischen sogar wieder sehr gerne da. Auch wenn es manchmal ein Kämpfen ist. Ich versuche mich auf die guten Momente zu fokussieren, sie haben viel mehr Bedeutung und Wichtigkeit in meinem Leben gewonnen. Denn ansonsten wäre die Schwere, die doch ab und an heftig fühlbar ist, noch schlimmer von mir empfunden.

Was mein Kind mir zum Vermächtnis gemacht hat, werde ich weiterhin umsetzen: Zeichen setzen, aufklären, Betroffenen Mut machen, Hinterbliebenen die Hand reichen. Nicht mehr mit der Verbissenheit der ersten Jahre, so dass ich mich selbst doch häufig überforderte, sondern mit mehr eigener Achtsamkeit.

So freue ich mich darauf, dass wir am 24. und 25. Februar in der Jahrhunderthalle in Frankfurt/Main sein werden, auf die Begegnungen mit Besuchern an unserem Stand und die Gespräche gesund leben - Die Messe für Gesundheit, Ernährung & Fitness (gesundleben-messe.de).

Ebenso darauf, dass wir unseren Workshop zur mentalen Gesundheit für SchülerInnen als Rahmenprogramm der von der Seelsorgeeinheit Madonnenland und des Vereins Dienst am Nächsten organisierten Wanderausstellung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (se-madonnenland.de) durchführen dürfen. Weitere dort angebotene interessante Themenabende im Programm auf der Webseite im Link. Im März werden wir im Saarland Eltern einer Schule den Workshop vorstellen. Und den Workshop im Main-Tauber-Kreis in einer weiteren Schule mit Zehntklässlern durchführen.

Am 03. und 04. Mai werden wir wieder in Bremen auf der Messe “LEBEN UND TOD“ https://www.leben-und-tod.de/ vertreten sein. Auch da freuen wir uns auf interessante Begegnungen und Gespräche an unserem Stand.

Auch Pflanzungen von Bäumen der Erinnerung wird es dieses Jahr wieder geben. Und nach einem Jahr gesundheitlich bedingter Zwangspause wird Mario Dieringer Mitte April seinen Lauf um die Welt wieder aufnehmen. Es bleibt also weiterhin spannend und voller Aktivitäten.

Mit diesem Ausblick auf die kommenden Monate wünsche ich Euch, dass Ihr das Leben so gut es geht, spüren könnt. Die ersten Frühlingsboten und die Tage wieder länger werdend erwartend. Und es auch Euch gelingen kann, immer wieder neue Hoffnung zu finden, wenn die Mutlosigkeit sich breit machen möchte.



 

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