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LEBEN IM UMBRUCH – ODER BIS SICH ALLES NEU ORDNET


Wir alle, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren haben kennen das: Plötzlich bricht die eigene Welt auseinander, der Boden unter den Füssen scheint sich aufzutun und der Fall ins bodenlose Schwarz beginnt. Und lange kämpfen wir, bis wir Stück für Stück die Bodenhaftung wieder finden können. Wir machen uns auf die Suche. Nach Antworten, um zu begreifen. Nach Wegen, um den Schmerz überleben zu können. Nach Halt, weil es uns immer wieder aufs Neue in die Tiefe zu reißen scheint. Nach Verständnis, weil sich die Welt gefühlt irgendwann von uns abzuwenden scheint. Wir straucheln. Immer und immer wieder.

Ja, wir verändern uns, haben eine andere Zeitrechnung. Vieles von dem, was wir gerade nach dem Verlust so schwer zu tragen haben, bleibt. Über Jahre, sogar Jahrzehnte oder auch lebenslang. Wir machen uns auf die Suche. Nach unserem eigenen Weg durch die Trauer, nach Möglichkeiten, mit der Trauer DENNOCH leben zu können. Jeder von uns muss seinen eigenen Weg finden. Sie sind so unterschiedlich wie sie nur sein können. Manchmal geht es nur schleppend… und manchmal gehen wir diese Wege voller Ehrgeiz, vollem inneren Drang, den Strohhalm zu packen, der uns das Gefühl gibt, doch noch am Leben zu sein. Einen Sinn im Leben zu sehen. Mir ging es mit der Vereinsgründung so. Mein persönlicher Strohhalm, meinen Sinn zum Weitermachen, den ich plötzlich, wie einen Lichtstrahl in der Dunkelheit sah. Zweieinhalb Jahre nach dem Suizid meines Sohnes. Und ich steckte meine Energie in den Aufbau des Vereins. In Projekte, in die Arbeit. Es half… und hilft noch immer. Den Verein gibt es nun bereits sechs Jahre. Vieles ist auf den Weg gebracht. Vieles hat etwas mit mir gemacht. Die dunklen Phasen konnte all das jedoch nie ganz von mir weichen lassen. Geblieben sind weiterhin gelegentlicher Tinnitus in absoluten Stresssituationen. Geblieben, zum Glück inzwischen sehr selten, die Panikattacken. Geblieben sind an manchen Tagen dunkle Gedanken. Für all das habe ich inzwischen meinen eigenen Strategien gefunden, so dass ich weiß was zu tun ist, wenn etwas davon auftritt. Geblieben ist das Loch in meinem Herzen, dass wohl nie ganz zuwachsen wird, wie eine Wunde, die immer wieder aufreißt. In diesen sechs Jahren bin ich gewachsen, auch über mich hinaus. Und oft über meine eigenen Kräfte gegangen. Es war unausweichlich, dass ich einen oder auch mehrere Gänge zurückschalten sollte. Das wurde mir im Laufe des Sommers und Herbstes 2022 ziemlich deutlich bewusst. Vieles wurde mehr Kraftakt, als dass es energiebringend schien. In der Vereinsarbeit, im Privaten. Wie aber tatsächlich die Veränderung gestalten, war mir noch ein Rätsel. Aber das Umdenken hatte begonnen. Seither ist vieles passiert. Hat sich vieles verändert. In meinem gesamten Leben. Die letzten 12 Monate waren ein Lernfeld ohnegleichen. Ein Straucheln, ein Fallen und ein Wiederaufstehn. Ein Lernen, loszulassen von so vielem. Und das eigene Leben umkrempeln. Es war die Zeit der Begegnung mit mir selbst. Das Wahrnehmen vieler Mechanismen, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hatten. Der Erkenntnis, dass Verlustängste noch immer in meinem Inneren schlummern, auch unbemerkt. Aber sie manchmal ganz viel auslösen oder verhindern. Erst als mir das so richtig bewusst wurde, konnte ich mich ihnen erneut stellen. Sie aushalten lernen, sie minimieren. Und merkte, dass sie zum Teil mit dafür verantwortlich waren, wenig zusätzliche Veränderung in meinem Leben zuzulassen und lieber in Strukturen zu verharren die mir vertraut waren. Auch wenn ich dadurch manchmal lieber litt als mich weiterzuentwickeln. Ich durfte, musste lernen, loszulassen. Es war schmerzhaft, natürlich. Aber notwendig. Jetzt, ja jetzt kann ich mich besser annehmen. Auch wenn ich immer wieder selbst an mir zweifeln werde. An meinem eigenen Wert, an meinem eigenen Können und daran, liebenswert zu sein. Das lässt sich nicht so einfach abstellen. Erst recht nicht, wenn doch durch den Tod meines Kindes dieses Gefühl in mir entstand, dass meine unendliche Liebe selbst für ihn nicht reichte, ihn diese nicht halten konnte und er mich verlassen hat… für immer auf dieser Welt. Und doch: ich bin inzwischen mit mir im Reinen. So gut es eben geht. Sage jetzt erst recht „Ja“ zu meinem Leben, kann mich freuen auf Neues und darüber, vieles in der eigenen Hand zu haben, wie ich mein Leben gestalten möchte. So geht es nun auch manchmal ein Ticken behutsamer und langsamer in der Vereinsarbeit für mich. Lerne ich immer mehr, auch abzugeben. Auch dass ich genauer darauf schauen darf, was tatsächlich sofort erledigt werden muss, und was auch noch ein paar Tage Zeit hätte, also etwas liegen bleiben darf. Das letzte Jahr hat mir wieder einmal gezeigt, dass es für nichts im Leben eine Garantie gibt. Dass das Gefühl der Sicherheit ab und an trügerisch sein kann. Aber auch, dass nichts unversucht bleiben sollte, wieder etwas ins Lot zu bringen. Wenn es dann doch nicht funktioniert, weiß man jedoch, dass man sein Bestes gegeben hat… und manches annehmen muss, was man gerne vermieden hätte. Und auch daraus ein guter Weg entstehen kann. Wie eine Art Neuanfang… im Frieden mit sich selbst. Mit guten, zufriedenen und sogar auch glücklichen Momenten im Leben. Trotz der Trauer, trotz des Vermissens unserer Verstorbenen. Denn selbst wenn wir vieles loslassen müssen, so ganz werden sie uns nie verlassen haben… durch unsere Liebe zu ihnen werden wir immer in Verbindung mit ihnen stehen. Sie haben ihren Platz in unseren Herzen. Fest und unverrückbar. Dieses Wissen lässt mich lächeln… und mein Leben trotz nicht immer selbst gewollten Veränderungen darin in den letzten Monaten nun doch wieder als gut und wertvoll ansehen. Ich denke, mein Kind wird das sehr wohlwollend beobachten… wo auch immer er ist auf der anderen Seite… und vor allem in meinem Herzen. Lange, lange Zeit machte mich der Satz „er hätte nicht gewollt, dass Du leidest und traurig bist“ unheimlich wütend. Denn ich wurde nicht gefragt, wie ich es überstehen sollte, dass er sich das Leben nimmt… und er tat es trotzdem. Gab mir keine Chance, es zu verhindern. Nun, nach fast neun Jahren kann ich das zum ersten Mal anders sehen. Er hätte tatsächlich gewollt, dass ich mein Leben für mich so zufriedenstellend wie nur möglich gestalte. Es annehme, auch immer wieder mal behaupten zu können wirklich glückliche Momente zu erleben. Und ich das inzwischen auch will…

Denn ich bin noch da. Im Hier und jetzt. Und erlebe die glücklichen Momente mit dem Wissen, ihn nie ganz zu verlieren… das lässt mich mutig sein. Und leben. Trotz der Trauer. Trotz des Vermissens. Durchgeschüttelt und neu geordnet…

Ich wünsche Euch den Mut und die Kraft, anzunehmen was nicht zu verändern oder aufzuhalten ist. Sowie den Mut und die Kraft, trotz aller Ängste und Zweifel das zu verändern, was uns immer wieder daran hindert, „Ja“ zum eigenen Leben zu sagen. Schritt für Schritt. Auch wenn´s manchmal stolpernd sein sollte. Denn auch das gehört dazu und ist vollkommen okay.




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