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ANDERE ZEITEN, ANDERE WEGE


Die ganze Welt ist momentan in einer Art Ausnahmezustand. Eine Pandemie, die so vieles lahm legt. Nie weiß man, was am nächsten Tag noch alles kommt. Wie lange wird das tägliche Leben eingeschränkt sein, sind soziale Kontakte nicht mehr so möglich, liegt vielleicht sogar die eigene Arbeit still? Was bedeutet das für die Menschen, die trauern, noch mit dem Verlust eines geliebten Menschen zu kämpfen haben? Nun, auf der einen Seite, so glaube ich zumindest, kommt uns diese Entschleunigung entgegen. Denn die Welt geht nun eher unser Tempo mit, welches ja immer etwas langsamer erscheint als bei anderen. Und vielleicht mag für manchen gar nicht so sehr das Problem bestehen, dass die sozialen Kontakte nun zwangsläufig reduziert sind, da sowieso viele davor schon abgenommen haben oder zerbrochen sind. Weil nicht jeder mit unserer Trauer umgehen kann. Nun sind aber viele Dinge, die uns bisher dabei geholfen haben, unser Leben mit der Trauer zu bestreiten eingeschränkt. Die wenigen verbliebenen Kontakte nur über Telefon, Mail oder Skype möglich, Besuche von Selbsthilfegruppen fallen aus, Termine bei dem Therapeuten könne momentan vielleicht nicht wahrgenommen werden. Es bricht also wieder etwas weg. Wir können es selbst nicht ändern. Aber versuchen, das Beste daraus zu machen.

Zwei der wichtigen Lichtblicke, die ich mir über das ganze Jahr verteilt immer versuche einzubauen (meine kleinen Kraftquellen, die meinen Motor am Laufen halten) sind nicht möglich. Die dafür eingeplanten Urlaubswochen nicht mehr zu verschieben. So sitze ich nun also hier, in den eigenen vier Wänden, und versuche einen Mittelweg zwischen Aktionismus und Erholung zu finden. Klar, ich könnte nun renovieren, ausmisten, längst Versäumtes nachholen. Ich habe beschlossen es nicht zu tun. Ein bisschen Gartenarbeit, auf Etappen und nur so viel ich gerade eben mag. Ich möchte die Zeit nutzen, um mich etwas auf mich selbst zu fokussieren. Einfach das tun, zu was ich wirklich Lust habe. Mich nicht dazu zwingen, beschäftigt zu sein. Mich selbst in der Ruhe und manchmal auch der Stille aushalten, mir selbst genug sein (das ist offen gestanden immer eine ganz schöne Herausforderung). Bei kleinen Spaziergängen oder auch kleinen Wanderungen zwischendurch auch mal die Sonnenstrahlen ausnutzen. Das schon lange herumliegende Buch endlich einmal lesen, weil ich sonst immer zu ausgepowert bin und keine Zeit dafür zu finden scheine. Meinen Gedanken freien Lauf lassen, sie zulassen, weil der Alltag mich nicht zu hetzten scheint. Also genau das, was ich irgendwo auf der Welt an einem tollen Strand auch machen würde, nun aber nicht kann. Und ja, ich darf auch spüren. Mich selbst, mit meiner Traurigkeit, meiner Unsicherheit, meinen bestehenden Ängsten, meiner Besorgnis. Ich kann und darf sie äußern, diese Gefühle, die in mir stecken. Die Gedanken zulassen, die mich beschäftigen. Denn gerade zu dieser Zeit weiß ich, bin ich nicht alleine damit, trotz Isolation. Wir dürfen das auch, besorgt sein, uns Gedanken machen, unsicher sein. Denn wohl noch keiner von uns befand sich zuvor in einer Welt, in der eine Pandemie plötzlich das alltägliche Leben so auf den Kopf stellt. Jeden von uns beschäftigt es, in irgendeiner Weise. Für Menschen, die sich immer in Sicherheit wähnten, mag dies alles noch erschreckender anmuten als für jemanden, der schon einige heftige Krisen und auch furchtbar schmerzhafte Verluste durchlebt hat. Ein „Ereignis“, ein Tod, so unerwartet und grausam, hat ausgereicht, um mein Leben vor fünf Jahren in Tausende von Stücken zu reißen. Und trotz allem bin ich noch hier, verwundet, verwundbar, verändert, geprägt. Ganz ehrlich? Die ersten Jahre gab es viele, viele Tage, an denen ich nicht wusste, ob und wie ich den nächsten Tag mit diesem Verlust aushalten soll, überstehen kann. Und manchmal gibt es auch jetzt noch diese Tage, wenn die Trauer mich voller Wucht packt, mich überrollt, mich zu erschlagen scheint. Aber ich habe gelernt, dass ich trotzdem wieder atmen kann, wenn dieses Gefühl nachlässt. Dass ich daraus wieder auftauchen kann. Etwas wundgeschlagen vielleicht, ausgelaugt, kraftlos und verletzbar, aber ich tauche wieder auf. Und so werden wir auch aus der Krise der Pandemie wieder auftauchen. Vielleicht etwas wundgeschlagen, aber es wird weitergehen, das Leben, vielleicht auch verändert. Wenn wir nun eh zur Rücksichtnahme „gezwungen“ werden, dann könnte man das eigentlich beibehalten. Danach auch aufeinander achten, danach auch empathischer und verständnisvoller miteinander umgehen. Gerade jetzt merken unsere Mitmenschen selbst, dass die Psyche eine große Rolle spielt. Dass es manchmal nicht viel braucht, um eine schlummernde Depression erwachen zu lassen. Dass etwas Unvorhergesehenes innere Krisen hervorrufen kann. Und wir alle, die wir in dieser „anderen Zeit“ mit Corona-News beherrschenden Nachrichten überall, in dieser so seltsamen Zeit verharren, können und dürfen uns etwas bewusst machen. Hoffentlich auch danach unseren Fokus darauf richten. Die Natur bietet viele kleine Wunder, die es zu entdecken gilt. Wir können ins Schleudern geraten, aber wir können immer wieder auf die richtige Spur finden. Wir brauchen nicht immer nur alles im Eiltempo erledigen, etwas langsamer funktioniert irgendwie auch. Wir dürfen uns Pläne machen, uns auf die Möglichkeit eines Ausflugs oder einer Reise freuen. Wir dürfen uns darauf freuen, wenn wir unsere Verwandten und Freunde wieder treffen dürfen, sie wieder umarmen dürfen. Dinge, die uns so selbstverständlich erschienen, erscheinen uns nun kostbar. Lasst uns darauf aufbauen, daran festhalten. Rücksichtsvoller, verständnisvoller miteinander umgehen, füreinander da sein, auch nach der Zeit der verordneten Einschränkung. Was diese Krise uns klarmacht, sollten wir nicht außer Acht lassen: das Leben bietet viele schöne Dinge, wir haben sie nur nicht mehr wahrgenommen. Jedes Menschenleben ist wichtig, jeder Mensch zählt. Ob freudestrahlend und sorgenfrei, ob innerlich zerbrochen, depressiv oder gar suizidal. Jeder ist wichtig. DU bist wichtig. Und irgendwo gibt es jemanden, der an Dich glaubt.


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