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Sommer, Sonne und ein Schlauchboot: Symbolik fürs Leben?

Text von Sonja



Die Zeit des Innehaltens der Ferien neigt sich dem Ende zu. Iris erinnerte vor kurzem an die ersten Gottesdienste für Suizidangehörige im September. Meine Ansprechpartner für die Baumpflanzungen trudeln langsam ein und sind nach und nach wieder erreichbar.  

Im August aber konnte ich nochmal ein wunderbares Sommerwochenende erleben. Seitdem habe ich Bilder im Kopf, die mich begleiten, die noch immer in mir nachhallen. Dieses Glück wollte ich, nein muss ich mit euch teilen. 

 

Sommer, Sonne und ein Schlauchboot.

Symbolik fürs Leben?

 

Es war ein Wochenende wie aus dem Bilderbuch. Der Himmel strahlend blau, die Wolken weiß. So, wie es sich für Bayern gehört. Sommerliche Temperaturen über 25 Grad waren angesagt.  

Perfekt um meine Freundin am Chiemsee zu besuchen. Wir würden einen Badetag auf der Fraueninsel verbringen. In der atemberaubenden Watzmann Region wandern und sicher keine Langeweile aufkommen lassen.

Der Touristendampfer brachte uns hinüber. Es war schon später Nachmittag als wir auf der kleinen Fraueninsel ankamen.

Wie oft war ich schon dort! Das erste Mal war ich mit meinen Eltern und meinem Bruder hier (und das ist nun schon ziemlich, ziemlich lange her) Dennoch empfinde es jedes Mal als etwas ganz Besonders auf dieser kleinen Insel auszusteigen. Man fällt ein bisschen aus der Zeit, alles wirkt langsamer, ruhiger. Wenn in Bayern die Uhren anders gehen, dann hier ganz sicher! Die Luft scheint reiner, das Wasser klarer, die Stille tiefer.

Das mag daran liegen, dass auf der Insel keine Autos fahren, oder daran, dass die Insel so herrlich überschaubar ist: ein traditionsreiches Frauenkloster, ein, zwei bayerische Gasthäuser und vielleicht 50 Häuschen. Mehr gibt es nicht.

Na, das stimmt so nicht ganz: im Sommer kommen noch jede Menge Touristen dazu. Aber diese würden sicher die Insel erkunden wollen. Viele waren noch ganz berauscht vom Prunk auf Herrenchiemsee, wo man ausschließlich in großen Führungen durch das sagenhafte Schloss von Ludwig des II pilgern konnte. Wieviel beschaulicher ist die Fraueninsel. Die meisten würden also einmal um die Insel bummeln, sich in den zahlreichen Keramik Werkstätten umsehen, irgendwo einkehren und dann mit dem Dampfer wieder nach Hause schippern.

Wir zwei aber wussten genau wohin wir wollten und drängelten an den zahllosen Touristen vorbei.

Direkt unterhalb des Benediktinerinnenklosters gibt es eine idyllische Wiese. Dort würden wir unsere Decke ausbreiten, schwimmen und abends bei einem Fischer eine fangfrische Renke essen. Erst der allerletzte Dampfer sollte uns zurück nach Prien bringen.  

Na, offensichtlich waren auch andere auf diese Idee gekommen.  Die Wiese war voll. Vor allem die Schattenplätze unter den alten Linden waren dicht belegt. Aber alles war friedlich und wirkte irgendwie verschlafen.   

Die einen oder anderen packten schon zusammen. Falteten sorgfältig die Decken, verstauten die nassen Badesachen. Auf den Gesichtern lag ein Ausdruck, ich würde es fast als verträumt bezeichnen.

Vielleicht strahlte das Kloster eine Ruhe aus, die sich auf die Badegäste übertrug? Wer weiß?

Sonnenmilch Geruch hing in der Luft, vermischte sich mit den Lindenblüten und von weit stieg mir schon ein würziger Grillduft in die Nase.

Wir fanden noch ein Plätzchen für unsere Decken und stürzten uns ins Wasser. Auch wir träumten nach der Abkühlung still vor uns hin. Wir hatten schon genug gequatscht, gelacht und unsere Freundschaft, die wir seit den Urlaubstagen mit meinen Eltern pflegen, mit einem Gläschen Aperol aufleben lassen. Meine Freundin schien eingenickt. Ich ließ meinen Blick über die friedliche Idylle schweifen.

An einer der übernächsten Decken blieb mein Blick hängen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht war es die altmodische karierte Picknickdecke, eine richtige Decke, kein modernes Fleece Zeug. Oder war es die Kühlbox, die mich endgültig in meine Kindertage versetzte? Was hatten meine Eltern nicht alles aus dieser sperrigen Box gezaubert? Schnitzel, Kartoffelsalat, Obst, Getränke, manchmal sogar Schokolade. Oder fesselten mich die Kinder? Ein älterer Bub, ein Mädchen, Geschwister wie wir?  

Vater und Mutter schienen zu dösen, der Bub, vielleicht 10 oder 11 Jahre alt, schien schwer mit dem Handy beschäftigt.  

Das blonde Mädchen hätte dem Heidi Buch von Johanna Spyri entsprungen sein können. Zu niedlich mit ihren blonden zu einer Art Dutt hochgebunden Haaren anzusehen. Sie war wach, und wohl voller Tatendrang.

Ich schätzte sie auf gerade mal sechs Jahre alt. Sie stapfte entschlossen los und geradewegs auf ein Schlauchboot zu, das am Ufer lag. Reinklettern, das Paddeln greifen und sich abstoßen war eine einzige Bewegung. Donnerwetter, dachte ich, was hat sie so alleine vor?

Ich setzte mich auf um notfalls einzugreifen.

Aber sie kam einfach nicht vom Uferbereich weg. Wohl war sie beherzt, aber es fehlte ihr die Kraft das Boot aus dem kleinen Schilfgürtel zu befreien.

Also kletterte sie kurzentschlossen wieder raus, stellte sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihrem Bruder auf und redete auf ihn ein. Die Eltern sahen nur kurz auf und schüttelten den Kopf. Auch der Bruder schien keine Lust zu haben mit der Kleinen etwas zu unternehmen. Aber sie gab nicht nach und so stand er dann wenig später neben ihr.  Seine Mine drückte gelangweilte Überlegenheit aus. So ein: „Ach was will dieses Baby wieder von mir“. Ich kannte diesen Ausdruck nur zu gut von meinem Bruder.

Sie dagegen ließ sich nicht irritieren, war ganz und gar Freude. Hüpfte ins Schlauchboot, während er sich cool, vielleicht genervt gab.

Der Junge zog die Paddel kräftig durchs Wasser. Rasch entfernten sie sich vom Ufer. Offensichtlich wollten sie zur benachbarten Krautinsel. Zu zweit kamen sie gut voran. Er legte sich ins Ruder, sie hielt Kurs. Scheinbar mühelos legten sie die ca. 500 Meter zurück. Die Eltern schienen vollstes Vertrauen. Sie linsten zwar dann und wann hinüber, schienen aber nicht beunruhigt.

Wie stolz die zwei dann wieder zurückkamen. Der Junge war wie ausgewechselt. Die Abenteuerlust stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie waren noch nicht bei ihren Eltern, wollte die Kleine gleich losplappern. Aber er bückte sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte, kicherte noch mehr als zuvor. Sie war sehr zufrieden.  

Ich war mir ziemlich sicher, die zwei hatten jede Menge Abenteuer auf der unbewohnten Krautinsel erlebt. So wie ich früher mit meinem Bruder. Wir hatten damals zwar kein Schlauchboot, aber immerhin eine Luftmatratze. Die Faszination der Insel schien immer noch dieselbe zu sein. Mit ein bisschen Phantasie hatte er wohl mit Drachen gekämpft und sie vielleicht Feen gesehen.  

Die beiden „Verschwörer“ wurden schon von ihren Eltern erwartet. Die Mutter fischte Brote aus der Kühlbox.

Ich dachte bei mir: Wie viel unbeschreibliches Glück liegt in dieser Szene?

Ein Schlauchboot, Abenteuer, Geschwister, ein sicherer Hafen!

Aus meinen Abenteuern sind Schicksalsschläge geworden. 

Nach deinem Suizid, Bruder, fühlte ich mich als wäre ich in ein wild tosendes, schäumendes Meer gefallen. Nur ich hatte weder ein Schlauchboot noch eine Luftmatratze. Ich hatte nichts an das ich mich hätte klammern können. Vielleicht nur an die Hoffnung, dass der Sturm irgendwann nachlässt. 

Wie viel Kraft dagegen gibt es, wenn man einen Kameraden einen Partner, eine Freundin an der Seite hat? Jemanden der einem wieder ein bisschen Schwung gibt. Einen der einem raushilft, wenn man sich (mal wieder) in der Trauer, der Depression, der Hoffnungslosigkeit festgefahren hat? Es braucht vielleicht nur einen einzigen Menschen auf den man sich verlassen kann, auf den man zählen darf.

Der Nachmittag hallt noch immer in mir nach. Das Glück dieser Familie erhellt mein Herz noch heute.  

Ich wollte es mit euch teilen. Auch wenn ich weiß, dass viele dieses Glück verloren haben. Wir hatten es. Das sollten wir in unseren Herzen bewahren.  

Seien wir füreinander da. Unterstützen wir einander beim Rudern durch dieses Leben. Und vergesst nicht die letzten Sommertage zu genießen: mit und für den der fehlt.



   

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