google-site-verification=-UgRHQ8wj0fm7xzZB-RVR0oR456EBS1jG8-927xuFjk AM WEGESRAND ERBLICKT MAN MEHR ALS MAN MEINT – ODER DIE BESONDEREN BEGEGNUNGEN SIND OFT UNVERHOFFT
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AM WEGESRAND ERBLICKT MAN MEHR ALS MAN MEINT – ODER DIE BESONDEREN BEGEGNUNGEN SIND OFT UNVERHOFFT



Es sind nun sieben Tage vergangen, als ich Mario auf seiner Wanderung um die Welt ein paar Stunden begleiten durfte und dabei auch mit unserem Vereinsmitglied Anita, die ihm gleich für eine ganze Woche und insgesamt 122 km Gesellschaft leistete, wandern und erzählen konnte. Immer wieder erwähnt Mario uns gegenüber, ihn doch einmal zu begleiten und so hautnah mitzuerleben, was sich auf seinem Weg so ergibt. Es tat mir selbst wieder gut, über die weiten Felder zu blicken, mich darauf zu konzentrieren, einen Fuß bewusst vor den anderen zu setzen. Ich lebe in einer schönen Gegend, auch wenn ich das viel zu selten würdige und wahrnehme. Zu häufig lähmt der Alltag mich für ausgiebige Aktivitäten in der Natur, zu oft fühle ich mich müde. Umso schöner war es nun, zu dritt unterwegs zu sein, auch wenn jeder immer wieder auch einmal für sich sein eigenes Tempo lief. Alle drei hatten wir das gleiche Ziel. So war Geschwindigkeit zweitrangig. Es ging darum, anzukommen. Und trotzdem zu realisieren, was man am Wegesrand sehen und entdecken kann. Auf diesen 18 km, die ich mitlief, kam es zu zwei Begegnungen, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Als wir die Grenze zu Baden-Württemberg überschritten (wir liefen von Unterfranken nach Baden), stand eine Dame ganz interessiert auf ihrem Grundstück. Wie sie uns dann erzählte, ließ sie die bei ihr gerade beschäftigten Bauarbeiter, mit denen sie sich zuvor unterhalten hatte, einfach stehen, weil sie wissen wollte, was dieser Wagen den Mario hinter sich herzieht, zu bedeuten hat. Und hoffte, dass sie uns noch erwischen würde. Nachdem wir ihr kurz den Hintergrund und den Sinn der Wanderung erklärten, lud sie uns in ihren Garten und zu einem Eis ein. Was mich dabei besonders berührt hatte, war zum einen die Freundlichkeit und die offene Neugierde, die auf herzliche Weise gezeigt wurde. Und auch, weil es die erste Ortschaft in Baden war, den Mario mit mir gemeinsam erreicht hatte. Ein Ort, mit dem ich auch Erinnerungen verbinde. Erinnerungen an meinen Sohn und an die vielen, vielen Fußballspiele zu denen ich ihn als sein wohl treuerster Fan begleitete. Auch schon einmal zu diesem Sportplatz der direkt in Sichtweite des Gartens war, in dem wir nun saßen und das spendierte Eis genossen. Vielleicht hat das genauso sollen sein… und vielleicht begleitete er mich ja auch irgendwie auf dieser Wanderung…

Als wir nach 18 km dann am Tagesziel ankamen und die letzten Meter vor uns lagen, lief Mario schon zielstrebig voraus, um zu schauen, ob dort bei der Pizzeria Platz für uns wäre. Anita und ich waren eine Kurve hinter ihm und kamen gerade an einer Bank vorbei, auf der drei ältere Frauen saßen und sich unterhielten. Eine davon erhob sich und sprach uns an. Sie konnte nicht mehr lesen, was auf Marios Banner stand, er war schon zu weit weg. Also fragte sie uns danach. Anita erläuterte es ihr, worauf die Frau uns erzählte, dass sie Anfang des Jahres ihren Schwiegersohn durch Suizid verlor. Und auch ein wenig von seiner Leidensgeschichte. Anita gab ihr eine Visitenkarte von Mario, ich gab ihr zusätzlich noch meine und erwähnte, dass sich ihre Familie jederzeit mit mir in Verbindung setzen dürfe, wenn sie dies möchten. Ihr fiel ein, dass ja ein Stand von uns in unserer Kreisstadt sei. Diesen hatte ich nur an einem Nachmittag am 10. September letztes Jahr; und doch hatte es sich irgendwie bei manchen eingeprägt. Mich berührte ihre Geschichte, mich berührte, dass sie so offen erzählte. Und mich berührte, dass wir auch gesehen werden und man von uns weiß, auch wenn es manchmal etwas dauert, bis die Zeit dafür gekommen scheint und das Bedürfnis wächst, mit uns in Kontakt zu treten. Warum mich das berührt? Ich sehe, dass es leider viel mehr Menschen gibt, die ein ähnliches Schicksal tragen (was mich gleichzeitig auch traurig macht), und wir oft nichts davon wissen. Mich berührt, dass eine ältere Frau, wo die ältere Generation doch oft mit diesem „darüber spricht man nicht“-Denken erzogen wurden, dennoch ihrem inneren Gefühl nachgab, und uns als ihr fremde Menschen, von ihrem Schwiegersohn erzählte. Und es zeigt mir, dass es richtig ist, was wir tun. Das offene Ohr sein, das Gehörte mittragen, da sein und die Hand zu reichen. Auch wenn vieles ganz im Stillen passiert und wir oftmals gar nicht merken, dass auch ganz Kleines manchmal schon ein wenig helfen kann. Es macht mich auch nachdenklich. Wie können wir es schaffen, dass mehr Menschen zum Beispiel unsere „1. Anlaufstellen“ zu bemerken und sich dann trauen, diese auch für sich selbst zu nutzen? Wie kann es uns gelingen, ihnen Mut zu machen, uns zu kontaktieren und diese kostenlose Hilfestellung und Begleitung anzunehmen? Wir alle haben am eigenen Leib erfahren, wie sehr es helfen kann, das Unaussprechliche, das Tabuisierte, das manchmal Unbegreifliche in Worte zu fassen und dadurch auch ein Verstanden-werden zu erleben. Genau das können wir tun. Diese Hilfe geben, in dem wir erreichbar sind und unsere Hand reichen, ein offenes Ohr bieten, wenn es gebraucht wird. Auch wenn es, wie hier, ganz unverhofft am Wegesrand stattgefunden hat. Ich glaube, dieser älteren Dame tat es zumindest ein kleines bisschen gut, ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Und ich bin dankbar, dass unser Weg an dieser Bank mitten im Ort vorbeigeführt hat. So hoffe ich umso mehr, dass wir die geplanten Aktionstage im September hier im Kreis durchführen können, auch wenn wir momentan zumindest an den Veranstaltungsorten umdisponieren müssen, um die Hygiene-Richtlinien einhalten zu können. Gerade diese Begegnungen haben mir gezeigt, dass es unter diesen für uns alle so neuen Umstände durch COVID 19 erst recht wichtig ist, über mentale Gesundheit, über Depression und Suizidalität zu sprechen. Darüber reden kann helfen. Betroffenen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, und auch den Angehörigen der Menschen, die ihren Kampf verloren. Zu lange schon war vieles nur noch online möglich, was fehlt, sind die persönlichen Begegnungen. Mit Bedacht, Rücksichtnahme und gewissen Vorkehrungen können diese Begegnungen wieder stattfinden. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass dies im September bei den Veranstaltungen weiterhin so sein wird.



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